Othello

Mit den Armen gestützt auf das morsche Gatter, steht sie hier und sieht gedankenverloren zu den Pferden auf der Weide und den Gutshof hinüber. Wer mag da jetzt wohl wohnen, ob dort auch Kinder mit eingezogen sind? Das wäre schön, denn früher war hier ständig etwas los.

Zurückblickend vernimmt sie das Lachen der Kinder, die auf den Rücken der Pferde sitzen und kleine spitze Schreie ausstoßen, wenn sie mal wieder den Halt verloren haben und vom Pferd gefallen sind. Ein Ponny rennt über die Koppel, übermütig mit den Hinterbeinen ausschlagend vor Lebensfreude. Sein Wiehern klingt wie ein Lachen und der schwarze Schweif wirbelt hoch, um sich zerzaust wieder an das rotbraune Fell zu schmiegen, das wie Seide in der Mittagssonne glänzt. Wie war noch der Name des Ponnys? Otto? Oskar? Nein, Othello! Wie konnte sie das nur vergessen, wo sie doch so oft seinen Namen gerufen hat, damit er angetrabt kommt, um sich von ihr liebevoll die samtigen Nüstern streicheln zu lassen.

Das Wiehern der Pferde auf der Weide reißt sie je aus ihren schönen Erinnerungen und kein Ponny, keine Kinder sind zu sehen. Völlige Stille hängt schwer in der Luft, irgendwie bedrückend fühlt es sich an. Wohnt dort überhaupt noch jemand? Ob sie einfach mal über das Gatter steigt und hinüber geht, um an die Tür zu klopfen und sich Gewissheit zu verschaffen? Ach nein, sie will doch lieber die wunderschönen Erinnerungen behalten, genießen und sich vorstellen, dass das Haus voller Leben ist.

Lächelnd lässt sie noch einmal ihren Blick über die Weide schweifen, um dann mit einem Gefühl tiefster Zufriedenheit ihren Rückweg anzutreten.

An einem Genickbruch vorbei

Gestern während der Busfahrt habe ich mich zweimal umgesetzt. Ich konnte mich nicht entscheiden, wie ich mein Genick gebrochen haben möchte: von hinten nach vorn oder von vorn nach hinten. Vielleicht doch lieber von links nach rechts oder umgekehrt?

Der Busfahrer gab Gas, um dann unmittelbar wieder voll in die Eisen zu steigen. Das ging die gesamte Strecke (15) Minuten so. Ich wartete schon darauf, dass die Köpfe der Mitfahrenden rollten.
Mein Gedanke: Männer, ihr habt doch sonst auch Gefühl. Könnt ihr das nicht mal in die Füße transportieren beim Autofahren? (Gilt jetzt nur für die Busfahrer!!!!!!)

Vorige Woche fuhr ich die Hin- und Rückfahrt mit einer Frau. Sie lenkte weich und gefühlvoll den Bus. Eine Harmonie in den Bewegungen, wie sie das Lenkrad drehte! Ein Bremspedal schien es nicht zu geben. Der Bus glitt dahin, wie ein Schiff in ruhiger See. Wie sie die Kurven nahm, ja, das erinnerte mich daran, wie ich als kleines Kind in den Armen meiner Mutter gewiegt wurde. Ich konnte nicht umhin, dieser wunderbaren Busfahrerin zu sagen:
“Sie fahren wundervoll, so gefühlvoll kann nur eine Frau einen Bus lenken.” Ich glaube, nun wird sie den Bus schweben lassen.

An die ein oder zwei Busfahrer, mehr sind es zum Glück nicht: Wenn ihr euren Frust vor der Arbeit loswerden möchtet, bitte, lauft mit eurem Hund um den Block. Wenn kein Hund vorhanden, hackt Holz für den Kamin, wenn kein Kamin vorhanden, schreibt euren Frust einfach nieder, das beruhigt. Dies weiß ich aus Erfahrung.
In diesem Sinne – Gute Fahrt!

Tränensee

Wenn meine Tränen mich reinwaschen können

werde ich weinen, bis ein See entsteht.

*

Es werden Lotusblumen, Schilf und Algen wachsen

damit sich Fische darin tummeln können.

*

Dann lade ich Schwäne, Libellen

und Schmetterlinge ein zu diesem Ort.

*

Mit dem Abendrot werde ich eintauchen

in meinen Tränensee.

 

 

 

Wartezimmer-Blues

Ihr kennt es sicher alle: ein bis zwei Stunden im Wartezimmer sitzen, um dann für fünf Minuten zum Arzt rein zu dürfen. Nach einer Stunde versuche ich meine Hände zu entkrampfen, sie sachte auf die Oberschenkel zu legen, die Augen zu schließen um zu meditieren. Wie ging es noch gleich? Ruhig und tief atmen, versuchen an nichts zu denken. Das soll mir mal einer vormachen, wenn laufend Stühle gerückt werden und ständiges Schniefen und Husten zu vernehmen ist. Also, noch einmal anfangen: ich atme ruhig ein und aus. An nichts denken geht bei mir nicht, also stelle mir einen See mit Enten vor. Ach, ist das traumhaft, ich freue mich über die Küken. “Der nächste bitte”! Verdammt, nun wird auf der Wiese herum getrampelt. Also, das geht gar nicht. Ich fange an, innerlich ein Lied zu summen, mir den Text zusammen zu suchen. Oh ja, das bringt Spaß. Doch nun fängt ein Kind jämmerlich an zu schreien, keiner findet den Knopf zum Abstellen.

Ich bin kurz davor, aufzuspringen und in meine vier Wände zu flüchten. Aber: nicht gleich aufgeben! Irgendwann werde ich ja heute drankommen, denn für Übernachtungen ist die Praxis nicht ausgestattet. Einen Imbiss gibt es leider auch nicht, der wäre jetzt dringend nötig. Nach knapp zwei Stunden komme ich dann dran – für fünf Minuten, um zu einem anderen Arzt weiter überwiesen zu werden. Echt Klasse!