Wo sich Igel und Wiesel „Gute Nacht“ sagen


Ende April schon, wo bleiben denn dieses Jahr meine Igel? Da ich im Grünen wohne, fühlen sie sich ausgesprochen wohl hier. Es gibt viel Nahrung und gute Verstecke, in denen sie sich ihre Nester bauen können.

Endlich, heute beginnt die Saison der kleinen Wildtiere. Der erste Igel kommt spät abends auf meine Terrasse getippelt, er schwankt leicht vor Schwäche. Ein halbes Jahr Winterschlaf, ohne inzwischen zu fressen, das hinterlässt Spuren. Er ist jetzt völlig ausgehungert und sein Stachelkleid schlottert ihm am Körper.
„Na, wie geht’s dir, du kleines Stacheltier? Zwei bis drei Wochen werde ich dich erst einmal aufpäppeln, damit du wieder zu Kräften kommst. Aber länger nicht, also futtere dir schnell das Drittel deines Gewichtes an, welches du während dieser langen Ruhezeit verloren hast. Danach musst du dich dann wieder selbst verpflegen.“

Schnell mixe ich dem geschwächten Tier sein Futter. Als ich den Napf hinstelle, dauert es nur einen Moment, bis er sich auf das leckere Mahl stürzt, die kleinen Vorderfüße gleich mit hinein. Gierig schmatzend leert er das Schüsselchen innerhalb weniger Augenblicke, leckt es sogar ganz sauber aus, dass nicht einmal eine Haferflocke drinnen kleben bleibt.
„Ach, dann habe ich ja richtig angemischt. Du bist also derjenige, der lieber das Katzenfutter mit Haferflocken mag? Dann ist es der andere, der die Kleie mit dem Feuchtfutter liebt. Wo hast du den denn gelassen? Habt ihr getrennt den Winter verbracht?“

Da! Jetzt erscheint auch schon der zweite Igel. Er hat den Geruch des Futters wahrgenommen, der noch in der Luft hängt von den Resten, die an dem Igelmäulchen des Artgenossen kleben. Ungeduldig schnauft und pustet er, als wolle er sagen:
„Wo ist denn nun mein Futter?“
„Kleiner, du willst dann sicher Kleie in deinem Futter haben, oder? Du weißt ja, Katzenfutter allein gibt Bauchschmerzen. Das wollen wir doch nicht riskieren? Schau mal, dein Kollege trottet schon davon. Ich kann hören, welchen Weg er einschlägt, weil das liegengebliebene Laub vom Herbst unter seinen kurzen Beinchen raschelt. Gut, dass ich es immer liegen lasse bis zum späten Frühjahr, weil es für euch eine wahre Fundgrube an Futter bietet.“

„Mal sehen, was ich hier so finde,“ denkt der erste Igel. „Oh, Raupen und Käfer haben sich unter Laub und Steinen versteckt. Die werde ich mir jetzt noch in mein Bäuchlein tun. Regenwürmer aus dem Rasen herausholen, dass kann ich ja auch morgen noch machen. Die esse ich auch gern. Aber die Nacktschnecken, bäh, die fresse ich nur im Notfall.“

Der zweite Igel nähert sich jetzt dem leeren Futternapf, um wütend mit der Schnauze dagegen zu stoßen. Er schiebt ihn über die Terrasse, was ein äußerst unangenehmes, laut kratzendes Geräusch verursacht. Ich nehme den Napf hoch, der Igel rollt sich vor Schreck zu einer Kugel zusammen. Meine Nachbarn werden begeistert sein, mitten in der Nacht so einen Lärm zu hören. Morgen muss ich ihnen erst einmal Bescheid sagen, dass die Igel-Saison begonnen hat, dann werden sie die nächtliche Ruhestörung sicher in Kauf nehmen. Jetzt kommt mein Kater Lucky, um zu schauen, wer da so einen Radau macht. Der Igel läuft in seine Richtung. Lucky steigt wie selbstverständlich, vorsichtig über ihn hinweg. Es scheint, als würden seine Beine noch länger, damit er ihn nicht berührt. Dass er sehr vorsichtig sein muss, wegen der spitzen Stacheln, kennt er schon aus den Vorjahren. Die Igel fürchten sich nicht vor ihm, weil sie wissen, dass er ihnen nichts antun kann.

Nun bereite ich die zweite Portion Futter zu und stelle sie auf den Fußboden. Schnell wie ein Blitz rennt der Igel in Richtung Nahrung, so dass er durch seinen Ansturm mit allen Vieren im Fressen zum Stehen kommt. Es scheint ihm gar nichts auszumachen, das Wichtigste für ihn ist, sich sofort den Magen zu füllen. Jetzt fängt es an zu nieseln, auch das noch. Ich habe jedoch schon vorsorglich den Katzenklodeckel meines Katers parat stehen und stelle ihn über das Futter. Die Idee kam mir im vorigen Jahr, als es nicht wieder aufhören wollte zu regnen. Eine feine Sache ist das, denn so können die kleinen Gäste ihr Futter regengeschützt genießen, vor allem schwimmt das Futter nicht davon. Außerdem zieht es auch nicht so schnell andere hungrige Tiere an.
Im letzten Jahr hatte sich allerdings tatsächlich ein Wiesel mit hinzugesellt, um vom Futter zu naschen. Davon war mein Kater jedoch überhaupt nicht begeistert. Die beiden haben sich auch einmal fürchterlich erzürnt, was bleibende Narben am Kopf meines Katers hinterlassen hat. Was Luckys Krallen und Zähne beim Wiesel angerichtet haben, konnte ich nicht in Erfahrung bringen, da es nur noch kam, wenn keiner von uns zu sehen war. Also nehme ich an, dass mein vierbeiniger Hausfreund sich kräftig verteidigt hat. Ich merkte nur immer an den Hinterlassenschaften des Wiesels, dass es wieder zum Fressen gekommen war. Mein Kater wurde durch dieses Erlebnis erst einmal sehr häuslich, bis die Igelsaison beendet war.

Eins ist jedoch sicher, im August diesen Jahres werden hier wieder kleine Minibürsten über den Rasen wetzen.