Othello

Mit den Armen gestützt auf das morsche Gatter, steht sie hier und sieht gedankenverloren zu den Pferden auf der Weide und den Gutshof hinüber. Wer mag da jetzt wohl wohnen, ob dort auch Kinder mit eingezogen sind? Das wäre schön, denn früher war hier ständig etwas los.

Zurückblickend vernimmt sie das Lachen der Kinder, die auf den Rücken der Pferde sitzen und kleine spitze Schreie ausstoßen, wenn sie mal wieder den Halt verloren haben und vom Pferd gefallen sind. Ein Ponny rennt über die Koppel, übermütig mit den Hinterbeinen ausschlagend vor Lebensfreude. Sein Wiehern klingt wie ein Lachen und der schwarze Schweif wirbelt hoch, um sich zerzaust wieder an das rotbraune Fell zu schmiegen, das wie Seide in der Mittagssonne glänzt. Wie war noch der Name des Ponnys? Otto? Oskar? Nein, Othello! Wie konnte sie das nur vergessen, wo sie doch so oft seinen Namen gerufen hat, damit er angetrabt kommt, um sich von ihr liebevoll die samtigen Nüstern streicheln zu lassen.

Das Wiehern der Pferde auf der Weide reißt sie je aus ihren schönen Erinnerungen und kein Ponny, keine Kinder sind zu sehen. Völlige Stille hängt schwer in der Luft, irgendwie bedrückend fühlt es sich an. Wohnt dort überhaupt noch jemand? Ob sie einfach mal über das Gatter steigt und hinüber geht, um an die Tür zu klopfen und sich Gewissheit zu verschaffen? Ach nein, sie will doch lieber die wunderschönen Erinnerungen behalten, genießen und sich vorstellen, dass das Haus voller Leben ist.

Lächelnd lässt sie noch einmal ihren Blick über die Weide schweifen, um dann mit einem Gefühl tiefster Zufriedenheit ihren Rückweg anzutreten.

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